Allergien und Allergievorbeugung damals und heute

Vor 30 Jahren wurde die erste HA-Nahrung auf den Markt gebracht. Was das für allergisch vorbelastete Kinder bedeutete und welchen Stellenwert HA-Nahrung heute bei der Vorbeugung von Allergien hat, erfuhr die DHA im Interview mit Professor Dr. Monika Gappa und Professor Dr. Lars Libuda vom Forschungsinstitut zur Prävention von Allergien und Atemwegserkrankungen am Marien-Hospital in Wesel.

Vor 30 Jahren wurde die erste HA-Nahrung auf den Markt gebracht. Sie sollte Säuglingen mit erhöhtem Allergierisiko, die nicht von Anfang an gestillt werden konnten, mehr Sicherheit bieten. Dass HA-Nahrungen auch das Potenzial haben, längerfristig das Allergierisiko zu senken, war damals noch nicht klar.

Welchen Stellenwert hat Ihrer Meinung nach die HA-Nahrung in der Allergieprävention?

Prof. Gappa: Hypoallergene Ernährung ist ein wichtiger, aber nur ein Aspekt der Allergieprävention. Es gibt keine einzelne Maßnahme, die Sicherheit bietet. Denn, das möchte ich voranstellen: Das genetische Risiko hat einen wesentlichen Anteil. Wichtig ist es, das Bewusstsein bei den Familien zu schaffen beziehungsweise zu stärken, dass präventive Maßnahmen das Allergierisiko senken können – und das auch bei sogenannten „Risiko-Kindern“, bei denen Mutter und/oder Vater eine Allergie haben.

Was hat sich hinsichtlich der Allergieprävention in den letzten Jahrzehnten verändert?

Prof. Gappa: Es gibt keine einzige richtige Antwort auf das Thema Allergieprävention. Vor allem in den letzten fünf Jahren hat es zu diesem hochkomplexen Thema viele neue Erkenntnisse gegeben. So ist die Prävention in der Vergangenheit aus heutiger Sicht zum Teil übers Ziel hinausgeschossen, auch was die Ernährung angeht. Zum Beispiel war die Meidung von hochallergenen Lebensmitteln wie Fisch, Eier und Erdnüsse ein Präventionskonzept, das lange verfolgt wurde und heute nicht mehr aufrechterhalten werden kann. Mittlerweile wurde verstanden, dass eine Allergenexposition, also ein Auseinandersetzen des Immunsystems mit potenziellen Allergieauslösern, durchaus auch zur Toleranzentwicklung beitragen kann. Und es wird weiter geforscht. So wird zum Beispiel derzeit untersucht, welches der entscheidende Zeitpunkt für allergievorbeugende Maßnahmen ist.

Wie kam man überhaupt auf die Idee, HA-Nahrung zu entwickeln?

Prof. Gappa: Muttermilch war damals und ist noch heute der goldene Standard. Der Ansatz war, dass die Eiweißzusammensetzung bei Kuhmilch eine ganz andere ist als bei der Muttermilch. Bei hypoallergener Nahrung (HA-Nahrung) ist das Eiweiß aus der Kuhmilch „kleingeschnitten“ (hydrolysiert). Damit soll das allergene Potenzial reduziert werden.

Welche Entwicklung beobachten Sie hinsichtlich der Verbreitung von Allergien?

Prof. Gappa: Wir sehen immer noch sehr viele Allergiker. Das liegt zum Teil daran, dass das Bewusstsein in der Bevölkerung zugenommen hat und dass mehr Menschen wegen ihrer Allergie zum Arzt gehen. Zudem werden Allergiker älter und geben ihre erhöhte Allergieneigung an ihre Kinder weiter. Doch insgesamt geht man davon aus, dass in Westeuropa in den letzten Jahren wahrscheinlich eine Nivellierung eingetreten ist, dass also die Zahl der Allergiker innerhalb einer Altersgruppe nicht weiter steigt.

Ist das die Folge von Präventionsmaßnahmen?

Prof. Gappa: In welchem Umfang das auf Präventionsmaßnahmen zurückzuführen ist, kann man nicht beantworten. Da spielen wohl mehrere Dinge eine Rolle. Ein großer Teil unserer Lebensbedingungen hat sich in den letzten Jahren nicht wesentlich geändert: der westliche Lebensstil, ein hygienisches Umfeld, ein weitgehend vollständiger Impfschutz, usw. Bei anderen Faktoren spielen Präventionsmaßnahmen aber möglicherweise eine Rolle. Hier möchte ich vor allem das Vermeiden von Tabakrauch im Umfeld von Kindern nennen.

Die GINI-Studie (German Infant Nutritional Intervention-Program) wurde 1995 gestartet, um allergische Erkrankungen im Neugeborenen-Alter zu untersuchen. Die damaligen Teilnehmer sind heute junge Erwachsene. Ihr gesundheitlicher Werdegang wurde von Geburt an in regelmäßigen Abständen protokolliert. Das hat zu einer Fülle von Erkenntnissen geführt. Hat die GINI-Studie auch die offiziellen Leitlinien zur Ernährung von allergiegefährdeten Kindern beeinflusst?

Prof. Libuda: Die Ergebnisse der GINI-Studie sind ein wichtiger Bestandteil der Leitlinien. Allerdings beziehen sich die Effekte, die in der GINI-Studie gemessen wurden, im Prinzip zunächst nur auf die dort geprüften Nahrungen. Ob die Ergebnisse  auf jede HA-Nahrung übertragen werden können, ist durchaus kritisch zu diskutieren. Es wäre wünschenswert, wenn es weitere so umfassende Langzeitstudien wie die GINI-Studie gäbe, die Effekte anderer HA-Nahrungen, aber auch den Einfluss von Zusätzen wie mehrfach ungesättigten Fettsäuren, Prä- oder Probiotika untersuchen.

Weiterführende Informationen unter www.ginistudie.de

Forschungsinstitut zur Prävention von Allergien und Atemwegserkrankungen
Klinik für Kinder- und Jugendmedizin
Marien-Hospital Wesel (GmbH)
Pastor-Janßen-Str. 8-38
46483 Wesel

Prof. Dr. Monika Gappa
Beratung
Diagnostik und Therapie allergischer Erkrankungen. Im Zusammenhang mit der GINI Studie: Lungenfunktionsdiagnostik.

Prof. Dr. Lars Libuda
Studienkoordination, Schwerpunkt Ernährungswissenschaften